Kurzer Einblick, aktuelle Wirtschaftslage & derzeitige Lage am Arbeitsmarkt in Rumänien (Stand – Jan. 2020)
Was verbindet die Rumänen mit den Franzosen, Spaniern oder Italienern? Alle sind sie sogenannte Romanen: Ihre Sprachen gehen auf das Lateinische zurück. Die Rumänen gehen sogar so weit, dass sie nicht nur sich selbst, sondern gleich ihr ganzes Land nach den alten Römern benennen. Schon im 17. Jahrhundert berichtete der Historiker Johannes Lucius, „die heutigen Walachen (…) rühmen sich der Herkunft von den Römern und bekennen, die römische Sprache zu sprechen“.
In Osteuropa nimmt Rumänien nicht nur aus sprachlicher Sicht eine besondere Rolle ein. Mit einer Bevölkerung von 20 Millionen hat es mehr Einwohner als die Nachbarländer Bulgarien und Ungarn zusammengenommen. Unter Unternehmern und Wirtschaftsexperten gilt der sechstgrößte Absatzmarkt der EU als äußerst attraktiver Investitionsstandort, der auch in der Zukunft über ein großes Potential verfügt. Im Jahr 2017 überraschte Rumänien mit einem Wirtschaftswachstum von über sieben Prozent, verfügte damals womöglich über die am schnellsten wachsende Ökonomie der Welt. Und auch danach beliefen sich die Zuwachsraten auf beachtliche vier Prozent – eine Entwicklung, die der in Polen und Ungarn gleicht und von der westliche Länder (mit Ausnahme von Irland und Malta) nur träumen können. Deutschland schrammte 2019 zum Beispiel nur knapp an einer Rezession vorbei, der EU-Durchschnitt lag lediglich bei zwei Prozent Wachstum.
Mehr Licht als Schatten: Rumänien gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Europa
Für Rumäniens hervorragende Konjunkturdaten gibt es viele Gründe: Das Land verfügt über sehr gut ausgebildete Facharbeiter, insbesondere im IKT-Bereich, und eine geringe Steuerbelastung. Angetrieben von starken Exporten, dem privaten Konsum und hohen Direktinvestitionen ausländischer Unternehmen steht Rumäniens Wirtschaft außergewöhnlich gut da. Immer mehr westliche Fabrikanten lassen ihre Hightech-Produkte in Rumänien herstellen oder sogar entwickeln. Die sehr guten Fremdsprachenkenntnisse vieler Rumänen sind auch hier ein Pluspunkt.
Diszipliniert, motiviert, strebsam – diese Eigenschaften werden den Rumänen oft nachgesagt. Nicht selten schwärmen ausländische Arbeitgeber von der rumänischen Mentalität. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg belegte das eindrucksvoll in einer 2015 veröffentlichten Studie. Darin zeigten sich auch gewaltige Unterschiede zu den Bulgaren, die von vielen Deutschen nur allzu oft, aber zu Unrecht, mit den Rumänen gleichgesetzt werden. Der Studie zufolge waren nur 6,4 Prozent der in Deutschland lebenden Rumänen arbeitslos gemeldet – aber 16,2 Prozent der Bulgaren. Interessant: Die Arbeitslosenquote lag in Deutschland zu dieser Zeit bei 6,5 Prozent und damit sogar höher als der Wert der Rumänen. Von allen untersuchten Ausländergruppen schnitten die Rumänen in dieser Statistik am besten ab. Das gleiche Bild zeigte sich unter den Hartz-IV-Beziehern: 11,5 Prozent der in Deutschland lebenden Rumänen nahmen diese Sozialleistungen des Staates in Anspruch. Demgegenüber erreichten Bulgaren mit 27,6 Prozent den 2,5-fachen Wert und damit auch den höchsten unter allen Ausländern. Der überwiegende Teil von ihnen gehört (in beiden Statistiken) übrigens der Roma-Minderheit an. Und deren Anteil übersteigt den der „gebildete Bulgaren“.
Obwohl beide Länder nach 1990 ganz ähnliche Voraussetzungen hatten, 2004 der Nato und 2007 der EU beigetreten sind, fällt die wirtschaftliche Bilanz für Rumänien eindeutig besser aus als für Bulgarien. Die Tageszeitung „Standart“ mit Sitz in Sofia mutmaßte kurz nach dem EU-Beitritt: „Zur erfolgreichen Entwicklung trägt sicher bei, dass der rumänische Markt dreimal so groß ist wie der bulgarische sowie die [historisch bedingte und kulturelle] Nähe zu Frankreich. Aber es gibt noch weitere, nicht weniger wichtige Gründe. Am Anfang des Übergangs waren die Rumänen im Umgang mit der alten politischen Klasse kompromissloser … Die gewalttätige Auseinandersetzung der Rumänen mit den Kommunisten hatte ihnen die Illusion genommen, weiter regieren zu können. Die Rumänen haben nicht den gleichen Fehler wie die Bulgaren gemacht: das wirtschaftliche System zu wechseln, ohne die Vertreter der alten Macht abzulösen.
“Zurück in die Gegenwart: Im von der Weltbank entwickelten „Doing Business Index 2020“, der die Geschäftsfreundlichkeit und Unternehmenstätigkeit von 190 Volkswirtschaften vergleicht, landet das Land auf Rang 55 – knapp hinter Kroatien und Ungarn, aber vor Italien und Bulgarien. Auch im „Global Peace Index“, der etwa die politische Stabilität und Kriminalitätsraten untersucht, schneidet Rumänien relativ gut ab. Während sich das Balkan-Land über Jahre hinweg auf Position 25 verbessert hat, ist Deutschland seit 2019 nicht mehr unter den zwanzig „friedlichsten Ländern“ vertreten und rangiert hinter Ländern wie Tschechien (10) und Ungarn (21). Schlechtere Noten bekommt Rumänien von „Transparency International“. Im sogenannten Korruptionswahrnehmungsindex (CPI), der für die Ansiedlung von Unternehmen durchaus eine Rolle spielt, springt nur Platz 61 heraus. Korruption im öffentlichen Sektor ist in Osteuropa nach wie vor verbreitet. Schlechter als Rumänien schneiden im aktuellen CPI seine fünf Nachbarländer ab: Ungarn (64), Bulgarien (77), Serbien (87), Moldau (117) und die Ukraine (120).
Einer der wichtigsten Faktoren für den Standort Rumänien sind die vor allem im Vergleich zur Eurozone niedrigen Arbeitskosten (Durchschnitt 2018: 5,70 Euro pro Stunde). Obwohl die Löhne und Gehälter zuletzt deutlich gestiegen sind, wird im EU-Vergleich nur in Bulgarien noch weniger gezahlt. Eine Gemeinsamkeit der Nachbarländer: Die Haushalte geben im Schnitt etwa ein Viertel des verfügbaren Einkommens für (vor allem importierte) Lebensmittel aus. Gut, dass die allermeisten Rumänen (96 Prozent) und Bulgaren (83 Prozent) über privates Wohneigentum verfügen, im Gegensatz etwa zu den Deutschen (unter 50 Prozent). Zum Vergleich: In Berlin besitzen nur 18 Prozent aller Haushalte eine Immobilie, in Bukarest fast jeder.
Die wirtschaftlichen Zentren befinden sich in Regionen, die früher zur Habsburgischen Monarchie gehörten.
Natürlich kämpft Rumänien auch mit strukturellen Problemen wie maroden Verkehrswegen, Mängeln im Gesundheitswesen und Bildungssystem. Doch die Politik bringt Reformen auf den Weg: Über Öffentlich-Private Partnerschaften (PPP) geht sie große Infrastruktur-Projekte an, die neue staatliche Investitionsagentur „Invest Romania“ unterstützt ausländische Investoren.
Sorgen bereiten die zahlreichen freien Arbeitsstellen, und zwar in allen Branchen. Der Fachkräftemangel, der sich wie ein Flächenbrand in Europa ausgebreitet hat, betrifft auch Rumänien. Der Mangel an Fachkräften spitzt sich immer mehr zu. In fast allen Bereichen – ähnlich wie in Tschechien, Polen und Ungarn, aber auch im Nachbarland Bulgarien – werden dringend Arbeitskräfte gesucht. Vor allem technische Berufe und Spezialisten aus dem IT-Bereich sind begehrte Mangelware. Unserer Ansicht nach befindet sich Rumänien – ähnlich wie andere Länder Mittel-/Osteuropa – in einer Konsolidierungsphase. Gut aufgestellte Unternehmen mit einem hohen Automatisierungsgrad und modernen Produktionstechnologien verdrängen schon heute weniger erfolgreiche Wettbewerber vom Markt – auch über das Abwerben von Arbeitskräften. Rumänische Arbeitskräfte lassen sich oft über eine bessere Entlohnung finden.
Die Arbeitslosenquote in Rumänien beträgt knapp vier Prozent (2019), in vielen Regionen des Landes herrscht Vollbeschäftigung. In den Wirtschaftszentren Bukarest (mit 1,8 Millionen Einwohnern (Ballungsraum: 2,5 Millionen) die sechstgrößte Stadt der EU), Sibiu, Timișoara, Brașov, Cluj-Napoca und Arad werden deutlich höhere Löhne gezahlt, gibt es kaum Arbeitslose und konzentrieren sich die westlichen Investitionen.
Dass gerade die Regionen im Norden und Westen das Rückgrat der rumänischen Wirtschaft bilden und über eine gut ausgebaute Infrastruktur verfügen, kommt nicht von ungefähr. Siebenbürgen, das östliche Kreischgebiet und große Teile des Banat gehörten einst zum Habsburgerreich. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall des Vielvölkerstaates kamen diese industriell erschlossenen Gebiete zum erst 1881 proklamierten Königreich Rumänien. Um die Jahrhundertwende hatten Industrialisierung und Kapitalismus auch Einzug in die Karpaten gehalten. Von den Grundlagen, die damals von Österreich-Ungarn gelegt wurden, profitiert Rumänien bis heute (übrigens auch andere Regionen der einstigen Donaumonarchie, etwa im heutigen Tschechien).
Autobauer wie Dacia, die „Schneiderei Europas“ und Funde im Schwarzen Meer geben Zuversicht.
Für die rumänische Industrie, die gut ein Drittel des BIP generiert und in der auch ein Drittel aller Beschäftigten arbeitet, spielt heutzutage die Automobil-Branche die zentrale Rolle. In den vergangenen Jahren erlebte sie einen rasanten Aufstieg: Der hier erzielte Umsatz macht inzwischen rund 15 Prozent des BIP aus. Einen Anteil an dem Boom hat auch die Erfolgsgeschichte des traditionsreichen Autoherstellers Dacia (benannt nach der römischen Provinz Dakien, die sich auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens befand). Unter dem Dach von Renault gelang Dacia dank Kampfpreisen in Zeiten der Wirtschaftskrise der Durchbruch auf dem europäischen Festland. Der enorme Absatz führte sogar dazu, dass die Rumänen für eine Saison der Hauptsponsor des deutschen Kultvereins FC St. Pauli waren … Neben Dacia – mit Produktionsstandorten westlich von Bukarest, aber auch in Russland – beweist der US-amerikanische Autobauer Ford mit einem Werk und regelmäßigen Produktionsrekorden, dass sich Investitionen in Rumänien auszahlen.
Für Tradition und Exportstärke (unter den Top 5 der Exportgüter) steht auch die Textilindustrie. In fast 10.000 Betrieben stellen über eine viertel Million Facharbeiter unter anderem auch Bekleidung für namhafte Modehäuser her. Die „Schneiderei Europas“ macht mit dem nötigen Know-how, niedrigen Lohnkosten und kurzen Lieferzeiten sogar asiatischen Herstellern Konkurrenz.
Die geographische Lage gehört zu den weiteren Stärken des rumänischen Marktes. Rumänien schafft den Brückenschlag zwischen Ost und West, zwischen Asien und Europa. Waren aus Russland, anderen GUS-Staaten, der Türkei oder dem Nahen Osten können über die Donau bzw. den Europakanal bis in die Nordsee verschifft werden – oder umgekehrt. Die von den alten Griechen (im 7. Jahrhundert vor Christus) gegründete Stadt Constanța verfügt über den größten Hafen am Schwarzen Meer. Und der wird immer wichtiger: Der Warenumschlag wächst kontinuierlich von Jahr zu Jahr. Auch die geographische Nähe zu wachsenden Absatzmärkten, etwa zu Serbien, Bulgarien und die Ukraine, verspricht gute Aussichten für Rumäniens Wirtschaft.
Von enormer Bedeutung für Rumänien ist nach wie vor die Energiewirtschaft. Erst recht nachdem vor wenigen Jahren riesige Erdgasvorkommen im rumänischen Teil des Schwarzen Meeres entdeckt wurden. Die sogenannte BRUA-Pipeline (die Abkürzung steht für die Länder Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich) soll ab 2022 Erdgas nach Mittel- und Westeuropa befördern. Daneben besitzt Rumänien große Erdölreserven (1857 war es das erste Land überhaupt, das das „schwarze Gold“ förderte) und beträchtliche Vorkommen an Steinkohle und Eisenerz.