Kurzer Einblick, aktuelle Wirtschaftslage & derzeitige Lage am Arbeitsmarkt in Tschechien (Stand – Jan. 2020)
Im Gegensatz zu den meisten alten EU-Ländern in Westeuropa (EU-15), wo sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt hat, befindet sich die Tschechische Republik nach wie vor in guter bis sehr guter Verfassung. Seit über fünf Jahren wächst die Wirtschaft ohne Unterbrechung, vor allem in der Baubranche, im Maschinen- und Anlagenbau, in der Automobil- und Elektroindustrie.
Die Automobilindustrie gehört zu den wichtigsten Pfeilern der tschechischen Industrie. Für das Jahr 2020 erwartet man in dieser Branche ein Wachstum von ca. 2,2 Prozent – in Anbetracht der Gesamtlage immer noch ein sehr stolzes Ergebnis. Ein weiterer Vorteil: Tschechien ist nicht so stark vom Automotive-Bereich abhängig wie etwa die Slowakei. Die tschechische Industrie ist hier im Vergleich zu den meisten Ländern in Ostmittel- und Südosteuropa diversifizierter.
Tschechien wurde (ähnlich wie die Slowakei) sehr stark von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie geprägt. Das hatte unter anderem zur Folge, dass der Maschinen- und Anlagenbau in Tschechien mit einem Umsatz von ca. 15 Milliarden Euro und einer Beschäftigungszahl von rund 135.000 zu den wichtigsten Branchen zählt.
Ein Blick zurück: In der Zeit der Donaumonarchie bildete das heutige Tschechien ihr industrielles Zentrum. Die Mitte des 19. Jahrhunderts in Pilsen als Maschinenbau-Unternehmen gegründeten Škoda-Werke stiegen bald zum größten Rüstungsbetrieb Österreich-Ungarns auf (mit einer ersten Auslandsvertretung in Kiew). Vor 100 Jahren war Škoda das größte Unternehmen im Land – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wenn auch nur dem Namen nach. Der heutige Autohersteller Škoda Auto (ein früheres Tochterunternehmen von Škoda aus Pilsen) gehört heute zum VW-Konzern, feiert 2020 seinen 125. Geburtstag, beschäftigt allein in Tschechien über 33.000 Mitarbeiter und verkauft pro Jahr mehr als 1,2 Millionen Fahrzeuge.
Tschechien hat seit mehreren Jahren die niedrigste Arbeitslosenrate aller EU-Staaten. Es folgen Deutschland und Polen
In den Jahren der Ersten Republik (1918–1938) zählte die damalige Tschechoslowakei zu den reichsten Staaten überhaupt. Die Tschechoslowakische Krone war weltweit eine der stabilsten Währungen, während in Österreich und dem damaligen Deutschen Reich Inflation herrschte. Wichtigste Säulen der Wirtschaft waren damals die Glasindustrie, Rüstungsindustrie, Automobilherstellung, Maschinen- und Anlagenbau und die chemische Industrie. Die regionalen Schwerpunkte der tschechoslowakischen Wirtschaft lagen in den Gebieten Böhmen, Mähren und dem schlesischen Landesteil, also dem heutigen Tschechien. Der Anteil der in der Industrie beschäftigen Menschen war weitaus höher als im Deutschen Reich oder in Österreich.
Heute ist Tschechien das Land mit der niedrigsten Arbeitslosenquote (Schnitt 2019: 2,0 Prozent) in Europa, gefolgt von Deutschland und Polen (über drei Prozent). In Ballungs- und Wirtschaftszentren wie Prag, Brünn, Pilsen und Ostrava herrscht mit einer Arbeitslosenquote von unter zwei Prozent absolute Vollbeschäftigung.
Positiv für Unternehmen, die ihre Waren nach Tschechien exportieren, ist die überaus starke Währung: Die Tschechische Krone hat innerhalb der vergangenen drei Jahre (nach Freigabe des Kronen-Kurses durch die Tschechische Nationalbank) um knapp sieben Prozent an Wert zugelegt – in den vergangenen fünf Jahren sogar um etwa neun Prozent.
In Tschechien sind derzeit rund 300.000 Stellen unbesetzt – bei etwa 200.000 Erwerbslosen. Um am tschechischen Markt erfolgreich zu sein, muss man seinen Mitarbeitern mehr bieten als höhere Löhne oder Gehälter – eine Herausforderung für viele Unternehmen.
Unserer Ansicht nach befindet sich Tschechien in einer Konsolidierungsphase. Gut aufgestellte Unternehmen mit einem hohen Automatisierungsgrad und modernen Produktionstechnologien werden andere Wettbewerber – auch über das Abwerben von Mitarbeitern aufgrund besserer Konditionen – vom Markt verdrängen können.
Schlecht sieht es für deutsche Produktionsfirmen aus, die sich in den neunziger Jahren wegen der geographischen Nähe im Grenzgebiet zu Bayern und Sachsen ansiedelten. Der Markt für Fach- und Führungskräfte ist hier so gut wie leer gefegt, also noch überschaubarer als in den Ballungszentren. Das liegt auch daran, dass es kaum Universitäten im ehemaligen Sudetenland gibt. Außerdem wurden hier nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung überwiegend Roma und Sinti aus dem Landesinneren und vor allem aus dem slowakischen Landesteil angesiedelt.
Der Mangel an Fachkräften spitzt sich seit Jahren weiter zu. In fast allen Bereichen fehlen Arbeitskräfte, ähnlich wie in der Slowakei, Polen, Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Das betrifft insbesondere technische Berufe, aber auch Spezialisten aus dem IT-Bereich sind gefragte Mangelware.
Mittlerweile werden aber auch Arbeiter mit einer geringeren Qualifikation dringend gesucht, zum Beispiel Kraftfahrer oder Lagerarbeiter, vor allem in der Logistik-Branche. Abhilfe schaffen hier (ähnlich wie in Polen oder der Slowakei) Arbeitskräfte aus der Ukraine. Sie ersetzen die Bulgaren und Rumänen, die früher gerne nach Tschechien gekommen sind.
Top-Positionen können über Jobbörsen im Internet so gut wie nicht besetzt werden. Das geht nur über qualifizierte Personalvermittler
Nicht wenige Facharbeiter, Arbeiter und Hilfskräfte, die an der Grenze zu Deutschland wohnen, arbeiten als Pendler und / oder Grenzgänger bei Produktionsunternehmen in Deutschland. Viele gehen nach dem Bekunden unserer Mandanten auch wegen der großzügigen Kindergeldzahlungen Deutschlands über die Grenze nach Bayern und Sachsen, ähnlich wie viele Deutsche aus dem Großraum Konstanz in der Schweiz arbeiten.
Eine Personalsuche über Anzeigen bleibt, auch nach dem Bekunden unserer Kunden, meist erfolglos. Immer mehr Unternehmen greifen auf die Unterstützung einer professionellen Personalvermittlung und eines versierten Headhunters zurück. Das gilt für Positionen wie Area Sales Manager ebenso wie für technische Berufe, etwa Konstrukteure, Servicetechniker, Anwendungstechniker etc.
Top-Positionen im Management, sei es Vertrieb oder Produktion, können über Anzeigen im Internet so gut wie gar nicht besetzt werden. Die Suche nach Kandidaten für Positionen wie Geschäftsführer Vertrieb, Technischer Geschäftsführer oder Werksleiter findet fast ausschließlich über kompetente und erfahrene Personalberater und Personaldienstleister statt.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Tschechen mit zu den sesshaftesten Völkern in Mittel-/Osteuropa gehören. Doch für diese Heimatverbundenheit gibt es gute und nachvollziehbare Gründe. Tschechen sind wesentlich familienorientierter als die Deutschen, Schweizer und Österreicher, auch der Anteil an privatem Wohneigentum fällt mit rund 80 Prozent deutlich höher aus als im deutschsprachigen Raum. Oma und Opa kümmern sich in Tschechien oftmals um die Enkelkinder, zudem gibt es ähnlich wie in der ehemaligen DDR viel mehr gute und qualifizierte Kinderkrippen oder Kindergärten zu bezahlbaren Preisen. Vielerorts sind folglich beide Elternteile berufstätig.
Auch die Geburtenrate der Tschechen ohne Migrationshintergrund (der Anteil der muslimischen Bevölkerung beträgt lediglich 0,1 Prozent) liegt höher als im deutschsprachigen Raum. Tschechien hat offiziell einen Ausländeranteil von etwa 4,5 Prozent. Fast 90 Prozent der in Tschechien lebenden Ausländer stammen aus EU-Ländern, davon stellen rund 75 Prozent die Slowaken, der restliche Anteil entfällt auf Ukrainer und Vietnamesen, wovon viele eingebürgert und bestens integriert sind, und die auch von den Tschechen sehr geschätzt werden.
In vielen Wirtschaftsstudien landen Tschechien und andere Staaten in Mittel-/Osteuropa vor dem „großen Deutschland“.
Die Löhne in der Tschechischen Republik sind im Vergleich zu denen in den westlichen EU-Ländern immer noch relativ niedrig, innerhalb Mittel- und Osteuropas aber am höchsten. Ein tschechischer Arbeitnehmer verdiente im Jahr 2019 im Durchschnitt umgerechnet 1.420 Euro brutto. Gegenüber Deutschland und anderen westlichen EU-Ländern fallen die Steuerabzüge und sonstigen Abgaben allerdings viel geringer aus – Deutschland ist ein absolutes Hochsteuerland und liegt bezüglich der Steuerbelastung in Europa hinter Belgien auf dem zweiten Platz. Ein IT-Spezialist ohne Mitarbeiterverantwortung verdient in Deutschland etwa 5.000 Euro brutto im Monat – nach Abzügen bleiben ihm circa 2.650 Euro. Ein tschechischer IT-Spezialist hingegen kommt zwar nur auf ein Bruttomonatseinkommen von umgerechnet etwa 3.000 Euro, geht allerdings mit 2.000 Euro netto nach Hause. Berücksichtigt man die hohen Lebenshaltungshaltungskosten in Deutschland und den (für die meisten) schweren Schritt, die Heimat zu verlassen – ganz ehrlich: warum sollten Tschechen überhaupt noch nach Deutschland gehen? Fachkräfte mit guten Deutsch-Kenntnissen gehen da lieber in die Schweiz, was sich trotz der höheren Lebenshaltungskosten auszahlt.
Ein weiterer Vorteil für den Standort Tschechien: Der Wohnraum in tschechischen Städten bleibt bezahlbar – kein Vergleich zu dem Mietwahnsinn, der in München, Berlin und anderen deutschen und westeuropäischen Ballungszentren herrscht. Im Großraum München, auch noch 40 Kilometer vom Zentrum entfernt, kostet ein 20-Quadratmeter-Zimmerchen mittlerweile 400 Euro, mindestens.
Zusammengefasst: Tschechiens Führungskräfte und Spezialisten interessieren sich immer weniger für den deutschen und westeuropäischen Markt. Die aktive Personalvermittlung wird von daher immer schwieriger. Auch weil sich die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert haben, die Lebensqualität in Deutschland schlechter geworden ist.
Einen Beleg für das schlechte Image der Deutschen bei ausländischen Fachkräften liefert eine internationale Studie des Netzwerks „Internations“. Im „Expat Insider“ stürzte Deutschland in Sachen Beliebtheit dramatisch ab. Belegte das Land im Jahr 2014 (also noch vor der Flüchtlingskrise) noch einen passablen zwölften Platz, landete es 2018 nur noch auf Platz 36 von 68 Ländern. Während die Schweiz sogar nur an 44. Stelle rangiert, schneiden Estland (27.), Finnland (23.), Bulgarien (21.) – vor allem aber Tschechien als Zehnter besser als Deutschland ab. Die Hauptstadt Prag gilt als weltweit eine der beliebtesten Städte für Expats.
Auch in anderen Studien und Ranglisten mit wirtschaftlicher Relevanz, aber auch in Sachen Lebensqualität und Sicherheit (niedrige Kriminalitätsrate), landet Tschechien (sowie andere Länder in Mittel- und Osteuropa) vor dem westlichen Nachbarn. Etwa bei der Staatsverschuldung (Government Debt, Eurostat), beim Wachstumspotential und der fiskalischen Nachhaltigkeit (Fundamental Health Indicator, The Lisbon Council). Im Index für wirtschaftliche Freiheit (Heritage Foundation, Wall Street Journal) steht Tschechien auf Platz 23 von 180 Ländern, Deutschland folgt knapp dahinter. Im „Global Peace Index“ ist Deutschland mittlerweile noch nicht einmal mehr unter Top 20 vertreten, Tschechien hingegen steht seit mehreren Jahren in den Top 10. Im von der Weltbank entwickelten „Doing Business Index 2020“, der die Geschäftsfreundlichkeit und Unternehmenstätigkeit von 190 Volkswirtschaften vergleicht, platziert sich Deutschland (mit 79,7 Prozent) zwar noch vor Tschechien (76,3 Prozent) oder Russland (78,2 Prozent). Doch die östlichen Länder verringern den Abstand von Jahr zu Jahr.
Tschechien gehört heute zu den führenden Produktionsstandorten in ganz Europa. Internationale Firmen – allen voran aus der Autobranche – setzen auf das Know-how aus Tschechien und haben sich in dem Land niedergelassen. Schon längst ist die Tschechische Republik nicht mehr nur die „verlängerte Werkbank“ Deutschlands, sondern entwickelt sich immer mehr zu einer beachteten Wirtschaftsgröße.